Das tapfere Schneiderlein Teil 4
Das Schneiderlein zog aus, und die hundert Reiter folgten ihm. Als er zu dem Rand des Waldes kam, sprach er zu seinen Begleitern: "Bleibt hier nur halten, ich will schon allein mit den Riesen fertig werden." Dann sprang er in den Wald hinein und schaute sich rechts und links um.
Über ein Weilchen erblickte er beide Riesen: sie lagen unter einem Baume und schliefen und schnarchten dabei, dass sich die Äste auf- und niederbogen. Das Schneiderlein, nicht faul, las beide Taschen voll Steine und stieg damit auf den Baum.
Als es in der Mitte war, rutschte es auf einen Ast, bis es gerade über die Schläfer zu sitzen kam, und liess dem einen Riesen einen Stein nach dem andern auf die Brust fallen. Der Riese spürte lange nichts, doch endlich wachte er auf, stiess seinen Gesellen an und sprach: "Was schlägst du mich?"
"Du träumst," sagte der andere, "ich schlage dich nicht." Sie legten sich wieder zum Schlaf, da warf der Schneider auf den zweiten einen Stein herab. "Was soll das?" rief der andere, "warum wirfst du mich?"
"Ich werfe dich nicht," antwortete der erste und brummte. Sie zankten sich eine Weile herum, doch weil sie müde waren, liessen sies gut sein, und die Augen fielen ihnen wieder zu. Das Schneiderlein fing sein Spiel von neuem an, suchte den dicksten Stein aus und warf ihn dem ersten Riesen mit aller Gewalt auf die Brust.
"Das ist zu arg!" schrie er, sprang wie ein Unsinniger auf und stiess seinen Gesellen wider den Baum, dass dieser zitterte. Der andere zahlte mit gleicher Münze, und sie gerieten in solche Wut, dass sie Bäume ausrissen, aufeinander losschlugen, so lang, bis sie endlich beide zugleich tot auf die Erde fielen. Nun sprang das Schneiderlein herab.
"Ein Glück nur," sprach es, "dass sie den Baum, auf dem ich sass, nicht ausgerissen haben, sonst hätte ich wie ein Eichhörnchen auf einen andere springen müssen; doch unsereiner ist flüchtig!" Es zog sein Schwert und versetzte jedem ein paar tüchtige Hiebe in die Brust, dann ging es hinaus zu den Reitern und sprach: "Die Arbeit ist getan, ich habe beiden den Garaus gemacht,aber hart ist es hergegangen, sie haben in der Not Bäume ausgerissen und sich gewehrt, doch das hilft alles nichts, wenn einer kommt wie ich, der siebene auf einen Streich schlägt."
"Seid Ihr denn nicht verwundet?" fragten die Reiter. "Das hat gute Wege," antwortete der Schneider, "kein Haar haben sie mir gekrümmt." Die Reiter wollten ihm keinen Glauben beimessen und ritten in den Wald hinein; da fanden sie die Riesen in ihrem Blute schwimmend, und ringsherum lagen die ausgerissenen Bäume.
Das Schneiderlein verlangte von dem König die versprochene Belohnung, den aber reute sein Versprechen und er sann aufs neue, wie er sich den Helden vom Halse schaffen könnte. "Ehe du meine Tochter und das halbe Reich erhältst," sprach er zu ihm, "musst du noch eine Heldentat vollbringen. In dem Walde läuft ein Einhorn, das grossen Schaden anrichtet, das musst du erst einfangen."
"Vor einem Einhorne fürchte ich mich noch weniger als vor zwei Riesen; siebene auf einen Streich, das ist meine Sache." Er nahm sich einen Strick und eine Axt mit, ging hinaus in den Wald, und hiess abermals die, welche ihm zugeordnet waren, aussen warten.
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